Christian Unverzagt

Corona, Klima und das Sein-lassen

 

Kurz-Essay, Ostern 2020

 

Draußen ist es relativ ruhig geworden. Auch freitags hört man nicht mehr: „Wir sind laut! Weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Weil die Zukunft nicht mehr geklaut wird? Oder weil Corona Priorität hat? Doch Corona liefert auch einen Beitrag zur Klima-Debatte.

 

Bereits früh zeigten Satellitenbilder über China, wie sich die Luft über den heruntergefahrenen Städten schlagartig erholte. Mittlerweile steigt weltweit weniger Rauch aus Fabrikschornsteinen, fahren weniger Autos auf den Straßen, weniger Containerschiffe auf den Meeren, sind kaum noch Flugzeuge am Himmel zu sehen. Das Wasser in den Kanälen von Venedig ist kristallklar, in italienischen Häfen schwimmen Delphine. Und das alles nicht durch Klimakonferenzen, Gesetzespakete oder teure Umwelttechnologien, sondern durch ein Corona-veranlasstes Nichts-tun!

 

Später, wenn mehr Zahlen vorliegen, wird man beurteilen können, ob die drastischen Maßnahmen wegen des Virus gesundheitspolitisch angemessen waren. Für die Luft von heute aber und vielleicht auch für das Klima von morgen waren sie auf jeden Fall ein Segen.

 

Die bereits zirkulierende Befürchtung, dass beim Wiederhochfahren der Wirtschaft kein Geld mehr für Klimaschutz bliebe, gibt angesichts der Billionenflut an Dollars und Euros Anlass zum Schmunzeln. Vor allem aber lehrt Corona, dass die klimafreundlichsten Maßnahmen gar nicht in teuren Technologien bestehen, sondern kostenlos zu haben sind. Corona lehrt, dass zur Fragestellung „Was können wir tun?“ die noch viel wichtigere gehört: „Was müssen wir sein lassen?“ Wo ist ein Handeln durch Nichthandeln erforderlich?

 

Der durch Corona veranlasste Ausnahmezustand ist ein Übergangszustand in eine noch unbestimmte Zukunft. Wir sind in eine Zone der Unbestimmtheit versetzt. Die Frage ist nicht nur, wann wir den Zeit-Raum strikter Anweisungen wieder verlassen, sondern auch wie. Werden nach Corona dieselben globalen Lieferketten von Rohstoffen, Dingen und Menschen wieder aufgebaut? Oder sollte Corona zum Besinnungshelfer geworden sein?

 

Vielleicht bräuchte man ein paar Tausend Kreuzfahrt- und Containerschiffe gar nicht mehr? Vielleicht könnten ein paar Tausend Flugzeuge am Boden bleiben? Vielleicht könnte man eines Tages nicht nur Schutzmasken, sondern auch wieder Hemden und Hosen im eigenen Land herstellen? Und vielleicht gelänge es, Obst und Gemüse ohne Hilfe aus dem Ausland anzubauen und zu ernten? Vielleicht durch eine Art Zivildienst, nach dessen Ableistung man und frau nicht nur etwas über Landwirtschaft gelernt, sondern auch das Anrecht auf eine kleine Parzelle erworben hätten?

 

Das Virus könnte die Idee einer Autarkie freigesetzt haben, die sich ins Kleine und ins Große ausweitete. Es bliebe nicht bei einer Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung auf nationaler Ebene, sondern immer mehr Menschen würden ein Fleckchen Erde beanspruchen, wo sie etwas anbauen – und die Ruhe genießen – könnten. Das Land würde wieder weiter, die Städte kleiner und mit mehr Grünflächen aufgelockert. Zugleich würde in dezentralen Strukturen ein neues kommunales Leben entstehen. Dieses kommunale Leben würde sich regional, landes-, europa- und weltweit vernetzen; aber nicht über Flugverkehr und schwerölgetriebene Schiffe.

 

Vor allem auch hinsichtlich des Klimas wird Corona ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen sein. Nach dem Shutdown wird sich das System wieder in das bequeme Leben der Verbraucher hochfahren; im Überfluss der Dinge, die durch eine globale Hyperaktivität produziert werden. Doch gleichzeitig wird sich die Bewegung des einfachen Lebens ausbreiten, das der Natur und ihrer Regenerationskraft wieder Raum lässt. Wenn wir gelernt haben, das Unnötige sein zu lassen, kann das Notwendige getan werden. Dann kann die Natur – und mit ihr die Gesellschaft – wieder regenerieren.