zum Wegdenken
Christian Unverzagt: „Alle Waren werden nach ihrem Gebrauch zu Müll.“
Chinesische Journalistin: „Warum?“
Wie sein Schatten schien der Müll dem Menschen zu folgen. Nun werden die Schatten immer länger. In der Abenddämmerung des Menschen? Morgendämmerung des Mülls?
1990 wurden allein in den alten Bundesländern 250 Mio t Müll produziert. In große Tonnen verpackt, hätte der Müll dreimal um den Äquator gereicht. Seither wird Müll in Deutschland vermieden. 2007
belief sich seine Produktion auf nur noch 385 Mio Tonnen.
Ist am Ende der Geschichte der stille Begleiter des Menschen – sein Müll – aufdringlich geworden? Oder führen sie Krieg miteinander?
Visionen tauchen auf vom Schicksal der Welt als einer riesigen, bewohnten Deponie. Unter ihr stöhnt die Erde.
Die Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde verstärkt die Illusion, sie hätte keine Rückseite.
Der Müll ist die Rückseite der geschundenen Dinge.
Im Zeitalter immaterieller Informationen erinnert der Müll daran, daß da noch etwas anderes war.
In ihrer Müllform streifen die Waren ihren kontrollierten Charakter ab. Unter kontrollierten Laborbedingungen hergestellt, werden sie erst als Müll in den wirklichen Freilandversuch
entlassen.
Ist der ganze „Reichtum“ der Industriegesellschaften nur geliehen? Eine Hypothek, die auf die Zukunft aufgenommen wurde? Oder am Ende gar nur Raubgut aus der Zukunft?
In die Zukunft wird ein Müllberg verschoben, der sich höher und höher über der Welt des Menschen erhebt. Er wird zum Inbegriff des Erhabenen.
Die Entsorgungsgesellschaft beruht auf einer Steigerung der Effekte. Jede Problemlösungsstrategie bürdet der kommenden Epoche die Mehrlast auf.
Mit dem Entsorgungszeitalter hat die Herrschaft der Vergangenheit begonnen.
Die moderne Metaphysik der Zeit ist eine solche des Halbwerts.
Entsorgung: wo Halbwert und Halbwelt sich Gute Nacht sagen.
Früher, in den „organischen“ Zeiten, nahm die Natur die Dinge nach ihrer Vernutzung wieder anstandslos zu sich zurück. Der Müll war ein verschwindendes Phänomen, noch kein Problem.
Was wären wir ohne die Gewißheit, daß es unlösbare Probleme nur für Pessimisten gibt? Und daß nichts jenseits von Pessimismus und Optimismus existiert?
Wer das Schicksal benennt, ist Defätist.
Die Denunzierung des Fatalismus als Defätismus nimmt den Menschen als Maß.
Welche Macht zwingt den Lauf der Dinge, mit den Glücksrechten des Menschen übereinzustimmen?
Wer in den Müll sieht, soll klar sehen.
An ihrer Rückseite sollt ihr sie erkennen!
Dort, wo einst Wegelagerer das Reisen unsicher machten, bedrohen heute Müll-/Gütertransporte alles am Wegrand Liegende.
Der Müll hat seinen Ort verloren, der Mensch sucht den seinen.
Müll kennt keine Grenzen.
Was für eine Welt, deren Traum das Endlager ist!