Eine metarealistische Bestandsaufnahme
Noch nachdem er die Schwelle des Todes überschritten hat, hört der Mensch nicht auf, eine giftige Müllspur zu hinterlassen. Das fand der Berliner Umweltsenat 1989 heraus, als er die
Umweltverträglichkeit des Krematoriums Wilmersdorf, das über keine Rauchgasfilteranlage verfügt, unter die Lupe nahm. »Die Flugasche aus dem Krematorium weist 2omal soviel Dioxin auf wie die
Asche aus der Müllverbrennungsanlage Ruhleben«, erklärte ein Referent des Umweltsenats.
Schuld sind vor allem die sogenannten »Geruchsteine«, die den Toten vom Chemiekonzern Bayer als Beigabe in den Sarg gelegt werden und die bei der Einäscherung Dioxine und Furane entwickeln. Sie
bestehen aus Paradichlorbenzol, einem giftigen Produktionsrückstand, den Bayer auf diese Weise bisher elegant entsorgen konnte. Als rosa oder grüne Würfelchen zur Geruchsverbesserung kennt man
die giftige Substanz auch aus öffentlichen Toiletten.
Daß der Mensch als Umweltsünder vor seinen Herrgott treten muß, dafür sorgen nicht nur die Bayer-Steinchen, sondern auch Nylonauskleidungen und Nitrolacke der Särge. Die Bestattungsunternehmen
versichern zwar, daß der Trend zumindest beim Feuersarg zu naturbelassenen Materialien geht, aber noch betätigen sie sich als Zulieferer von makaberen Giftmüllverbrennungsanlagen. Beim Erdsarg
kann von »kaum behandelten« Materialien sowieso keine Rede sein. So wird die Beigabe der Toten zur Vorgabe an die Künftigen: denn deren Grundwasser gefährden sie nun.
Wenn man sich in die Geschichte des Mülls vertieft, könnte man mitunter meinen, daß alle Raffinesse menschlicher Erfindungen nur dazu dient, bereits gelöste Probleme erneut und wenn es sein muß
auf höherer Ebene wieder zu stellen, um sie vielleicht doch noch unlösbar zu machen.
Die Bestattung der Leichen wurde schon früh als auch hygienisches Problem erkannt und behandelt; selbst wenn man es noch nicht so nannte. Im alten Rom verbot das Zwölftafelgesetz schon 451 v.
Chr. die Bestattung innerhalb der Stadt. So legten die Römer ihre Gräberstraßen vor der Stadt an. Erst in der Blüte-, sprich: Degenerationsphase des Reichs, als es zu seiner Belustigung der
Niedermetzelung von Nicht-Römern bedurfte, kam es zu den seuchenbegünstigenden Massengruben auch innerhalb der Stadtmauern. (Was für eine ironische Umkehrung: heute sind es die ehrenwertesten
Toten mit den teuersten Särgen, die am giftigsten sind.)
Die mittelalterliche Stadt behielt ihre Toten gleich bei sich. Seit dem Diktum Karls des Großen, der die Feuerbestattung im Jahre 785 für heidnisch erklärt hatte, mußten sie als ganze Leichname
zur Verwesung unter die Erde. Man vergrub sie auf dem Boden der Kirche oder in deren nächster Nähe. (Im Niederländischen heißt der Friedhof heute noch kerkhof = Kirchhof.) Nicht nur die
spezifische Geruchsentwicklung, sondern auch eine Gefährdung des damals noch durchweg aus Brunnen geholten Trinkwassers konnte Folge dieser christlichen Art sein. Nur während der Pestzeiten im
14. Jahrhundert lagerte man in einigen Städten wie Nürnberg, Straßburg und Braunschweig die Leichen aus der Stadt aus. Erst mit der Reformation wurde es üblich, die Friedhöfe weiter von der
Stadtmitte zu entfernen. Im 16. Jahrhundert tauchen die ersten Schriften auf, die eine Wiedereinführung der Feuerbestattung befürworten. Es sollte noch 3oo Jahre dauern, bis es in Deutschland
soweit war.
1874 wurden in Gotha wieder die ersten Leichen verbrannt. Bei 1ooo Grad Celsius waren sie in ein und einer Viertelstunde zu Asche verfallen. Das Verfahren beruhte auf einer neuen Gasfeuermethode,
die einige Jahre zuvor bei Siemens in Dresden entwickelt worden war. Der erste »Deutsche Feuerbestattungsverein« rühmte die neue Verbrennungsanlage damit, daß »eine Leiche in ein bis zwei Stunden
so vollständig verbrennen kann, daß nur noch weiße Asche übrigbleibt und daß beim Verbrennungsvorgang keine Belästigungen durch Rauchgase entstehen«.
Die Evangelische Kirche gab 1898 ihren Segen, die Katholische zog, nachdem Papst Leo XIII. 1886 noch einmal den heidnischen Charakter der Einäscherung unterstrichen hatte, 1964 nach. Das Problem
mit der Altlast Mensch schien nun gelöst. Die Weltgesundheitsorganisation lobte 1974 die Feuerbestattung als optimale Methode der Leichenmineralisation. Die Kriterien gleichen denen bei der
Giftmüllentsorgung auffällig: statt des Fäulnisprozesses entsteht keimfreie Asche; in der Leiche befindliche Mikroorganismen werden vernichtet; der Platzbedarf (Deponieraum) ist wesentlich
geringer als bei der Erdbestattung, außerdem müssen keine Ruhefristen bis zu einer Neubelegung eingehalten werden; der Schutzabstand zwischen Wohnbereich und Friedhof kann verringert werden; und
schließlich sind Ascheurnen transportfreundlicher.