Politisierte Kunst in Maos China
Beitrag in der Festschrift für Lothar Ledderose: Shifting Paradigms in East Asian Visual Culture, Reimer Verlag, Berlin 2012
China unter Mao war ein Land der Bilder. Es war auch ein Land der Schrift und der
Lautsprecher. Auf Wandzeitungen, Transparenten, Haus- und Felswänden verkündeten Schriftzeichen die Losungen der Politik, mit denen zugleich dröhnende Lautsprecher Plätze und Straßen
beschallten. Vor allem aber sollten Bilder einfach zu entschlüsselnde Botschaften durchs Land tragen. Sie dienten nicht nur als litteratura
laicorum, als Schrift für Schriftunkundige. Der Kunst schrieb man die Fähigkeit zu,
die Ursprungsmythen der Macht im Bewusstsein der Massen ein-bilden zu können.
Es gab Bilder-Orte, zum Beispiel das Revolutionsmuseum in Beijing, und es gab
mobile Bilder, die jeden Ort erreichen konnten. Zeitungen, Zeitschriften, chinesische
Comic strips (連環畫 lianhuanhua), Neujahrsdrucke, Poster sowie Malereien
auf Wandzeitungen und Plakaten trugen die Botschaften und Direktiven der Partei
bis in die Poren der Gesellschaft. Die durch und durch politisierte Gesellschaft war
eine ästhetisierte Gesellschaft. Bilder waren omnipräsent, und manchmal schienen
sie allgewaltig.1
Immer war die Partei besorgt, die bestmögliche Strategie und die bestmögliche
Waffe an der „Front der Kultur“ (Mao) zu finden. Auf der Suche nach den künstlerischen Mitteln kam es zu einer doppelten Begegnung mit Fremdem. Zum einen war dem China des zwanzigsten
Jahrhunderts seine eigene Bildtradition, namentlich die der Gelehrtenmalerei, fremd und suspekt geworden. Zum anderen nährten die seit
den 1920er Jahren aus dem Westen einsickernden Kunstformen, vor allem die moderne
Ölmalerei, alte Ressentiments gegen Ausländisches. Im Krieg gegen Japan, im
Bürgerkrieg gegen Chiang Kai-sheks Guomindang, aber auch nach Gründung der
Volksrepublik versuchte die kommunistische Kulturpolitik immer wieder, das Fremde
in den Dienst zu nehmen. Man glaubte, seine vermeinte kulturelle Gefährlichkeit
kontrollieren und zugleich seine technischen Potentiale für sich nutzen zu können,
indem man die Kunst einem politischen Willen unterstellte.2
Die Politik wollte zum Schicksal der Kunst werden. Sie wurde zum tragischen
Schicksal zahlloser Künstler. Aber das Schicksal von Künstlern und das Schicksal der Kunst sind zweierlei. Das Schicksal der Kunst unter den Auspizien ihrer politischen Indienstnahme verkehrte
sich in das Schicksal ihrer Politisierungsversuche. Denn in der
Tat wohnte diesen Bildern eine Macht inne. Es war jedoch nicht nur die der intendierten
Wirkung. Die Kunst entzog sich dem Anweisungscharakter der Politik, indem sie
mitspielte und sich jede neu verordnete Botschaft aufbürden ließ. So kam es zu Wandlungen in der Idee und der Werkform der Kunst, mit denen die politischen Intentionen neutralisiert wurden. Am
Ende waren es die Formen der politischen Indienstnahme, die zusammenbrachen, während die Kunst überlebte und sich erneuerte. Paradox zugespitzt ließe sich formulieren: In China entstand die
moderne Kunst dadurch, dass sie überlebte. Das meint noch etwas anderes, als dass die unter dem Hammer der Kulturpolitik unterdrückten Stile und Künstler auf das Jahr 1979 warten mussten, um sich
entfalten zu können.3 Gemeint ist eine Dynamik, die in der politisierten Kunst selbst ausgelöst wurde, gerade an ihren Inkunabeln; die aber über ihre Zweckbestimmung hinaus wirkte und,
nachdem die Botschaften ins Leere gelaufen waren, die Kunst ihre Scherben einsammeln und ins tot geglaubte Bild zurückkehren ließ.